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Praxisbeispiel Solarbranche: Wie Mittelständler den Chinesen die Stirn bieten

Gunter Fauth Ja

Fachartikel von Gunter Fauth
Geschäftsführender Gesellschafter, Valegra (Urbach/Stuttgart)
https://valegra.de/de/
CNBW-Mitglied


Praxisbeispiel SOLARBRANCHE 
Wie Mittelständler den Chinesen die Stirn bieten

Für so manchen deutschen Mittelständler steht fest: Viele ihrer chinesischen Wettbewerber „kopieren“ schlichtweg noch immer Technik und Technologie aus Europa. Aber: Die Welt hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Am Beispiel der Solarindustrie zeigt CNBW-Mitglied Gunter Fauth (geschäftsführender Gesellschafter bei Valegra; Urbach/Stuttgart) im folgenden Fachartikel, wie schnell sich Märkte und Wertschöpfungsketten wandeln und welche Auswirkungen dies auf den deutschen Mittelstand haben kann. „Gleichzeitig bietet eine solche Veränderung auch viele Chancen“, betont Gunter Fauth.

Entwicklung der Solarindustrie
Die Solarindustrie ist eine innovative und noch sehr junge Branche, die in den vergangenen Jahren großes Wachstum verzeichnete. Die Technologie wurde sehr stark von Deutschland aus entwickelt; viele führende Photovoltaikforschungsunternehmen sind hier beheimatet. Die Entwicklung der Solarindustrie wurde vom Staat stark gefördert. Dies betrifft Forschung, Industrieansiedlungen und Stromerzeugung (EEG). Im Zeitraum 2000 bis 2011 wurden ca. 157.000 neue Arbeitsplätze in der deutschen Photovoltaikindustrie aufgebaut. Der Umsatz der Branche (Forschung, Anlagenbau, Solarzellherstellung, Modulbau, Installation, Wechselrichterbau, Speicher etc.) lag 2011 bei über 13 Mrd. Euro. Deutschland hatte im Jahr 2011 rund 45% der weltweit installierten Sonnenenergie verbaut und war damit Weltmarktführer. Das waren zu diesem Zeitpunkt u. a. auch deutsche Anlagenbauer und Solarzellhersteller.

„Game Changer“: Solarkrise 2012
Die enormen Überkapazitäten am Markt, der Rückgang der öffentlichen Förderung und der Preisverfall führten zu einer erheblichen Marktbereinigung. China hatte zu diesem Zeitpunkt die Photovoltaik als Schlüsselindustrie definiert und konsequent in der Branche investiert. Zunächst wurden Technik und Technologie „kopiert“, dann aber sehr schnell weiterentwickelt. Die Chinesen nutzten die Krise und bauten rasch Know-how auf. Seither ist der Markt durch starken Preisverfall und deutlich verbesserte Zelleffizienz/Leistung gekennzeichnet. Heute kommen alle führenden Solarzellhersteller aus China. Das Land verfügt mit einer installierten Leistung von über 305 GW im Jahr 2021 über die weltweit größte Photovoltaikbasis. Der Umsatz der deutschen Photovoltaikindustrie lag 2020 noch bei knapp über 3 Mrd. Euro; die Beschäftigung ging auf ca. 52.000 zurück.

Herausforderungen für deutschen Mittelstand
Die überwiegend mittelständischen Unternehmen in der Photovoltaikindustrie haben mit erheblichen Marktveränderungen zu kämpfen:

.   Die Preise für PV-Module fielen seit 2006 um über 75%; Gründe: technologischer Fortschritt, Skalen- und Lerneffekte.
.   Der Wirkungsgrad der Solarzellen hat sich von 2000 bis 2020 von ca. 12% auf über 22% in der Produktionsumgebung erhöht.
.   Verschiedene Technologien stehen im Wettbewerb zueinander, um die höchstmögliche Solarzelleffizienz zu erreichen. Welche Technologie setzt sich durch?
.   Der Durchsatz (Wafer/h) der thermischen Anlagen zur Herstellung der Solarzellen steigt sehr stark an und verdoppelt sich innerhalb von fünf Jahren.

Ausgehend von den beschriebenen Marktveränderungen gab es für die deutschen Unternehmen die Herausforderung, dass China konsequent eine neue Wertschöpfungskette in der Solarindustrie aufgebaut hat. Die neue Konkurrenz aus Asien holte technologisch sehr schnell auf, konnte deutlich kostengünstiger fertigen und verzeichnete in kürzester Zeit die größten Marktanteile, weil sich in Deutschland die Solarzellhersteller nach und nach vom Markt verabschiedeten. Die Branche konzentrierte sich fast ausschließlich in China. Alle Zulieferer hatten nun chinesische Kunden. Direkt am Kunden zu sein – das war für die chinesischen Unternehmen ein enormer Vorteil; für die deutschen Unternehmen allerdings ein großer Nachteil, der oftmals viel zu spät erkannt wurde. Der Endkundenmarkt entwickelte sich in China so rasant, dass sich chinesische Marktteilnehmer zu Marktführern entwickelten. Dies gilt für den Endkunden- und Herstellermarkt, aber auch für die gesamte Wertschöpfungskette. Für die europäischen Unternehmen blieb letztlich die Technologieführerschaft als Strategie oder der Marktausstieg.

Von den Besten lernen
Aber wie konnte man mit der Kostenführerschaft der Lieferanten aus China konkurrieren? Indem man sich Unternehmen und Märkte genau anschaute und vor Ort lernte – in einer Zeit, wo es Hightech-Experten im deutschen Mittelstand am Ende der Solarkrise noch für „undenkbar“ hielten, dass chinesische Unternehmen beispielsweise im Reinraum fertigen, hoch automatisierte Anlagen bauen, Technologie ständig verbessern – und dies alles zu deutlich geringeren Kosten als in Deutschland. Kamen 2012 noch nahezu alle Bauteile einer thermischen Produktionsanlage aus Deutschland, stammen mittlerweile alle Bauteile bis auf wenige Komponenten aus China.


                      PRAXISBEISPIEL + Strategie für den Mittelstand

Gunter Fauth hat als Vorstand der centrotherm international AG (Blaubeuren), einem mittelständischen  Technologieunternehmen für den thermischen Anlagenbau, die „kopierten“ Anlagen der Chinesen direkt vor Ort angeschaut. Analysiert wurden Werkstoffe, Technologie, Konstruktionen. Nach dem Benchmarking mit einem chinesischen Wettbewerber stand fest: Eine Vielzahl von Bauteilen und Elektronik lässt sich China um 50% günstiger einkaufen. Wichtige Komponenten, wie Ventile, Generatoren etc., werden zu denselben Einkaufspreisen gehandelt. Der Wettbewerb vermag durch die Nähe zum Kunden punkten. Dadurch waren Zuschlagssätze in der Kalkulation für F&E und V&V-Kosten sehr niedrig. Und wie die Produktionskosten sind auch die Produktionszeiten deutlich geringer. Anlagen werden vor Ort beim Kunden aufgebaut und in Betrieb genommen. Der Gegensatz: Installation in Deutschland, Inbetriebnahme, Demontage, Versand und hohe Frachtkosten! So ergab sich also eine Vielzahl von Einzelpunkten, die einen Verkaufspreisunterschied von rund  50% transparent machten.

Ergo: Wer sich im Wettbewerb behaupten will, braucht eine Differenzierungsstrategie. Allerdings ist in der Regel eine Business-Transformation notwendig, um als Technologieführer den Markt zu auskömmlichen Preisen beliefern zu können.

                             Chancen nutzen: Business Transformation
Im Anschluss an die „Erkundungsreise“ nach China galt es nun, allen Mitarbeitenden die Situation zu schildern und sie zu „Betroffenen“ zu machen. Schnell war klar: Die Transformation wird ein Kraftakt, beispielweise werden Konstruktion und Einkauf neue Wege beschreiten müssen. Denk- und Handlungsweisen der Belegschaft stießen dann im Umstellungsprozess an Grenzen. Das Unvorstellbare war gefragt. Ein Projektteam wurde gegründet mit Mitarbeitenden, die sich der Herausforderung stellten und interkulturell versiert waren. Neue Methoden, beispielsweise Wertanalyse, wurden in der Konstruktion eingeführt. Der Einkauf in Deutschland und zwischenzeitlich auch in China, aber auch die Technologie hatten nun viel enger mit der Konstruktion zu kooperieren. Alle Prozesse kamen auf den Prüfstand. Als Ergebnis wurde schließlich eine neue modulare Anlagengeneration in kurzer Zeit entwickelt. Die hochpreisigen Komponenten einer Anlage wurden nun für die doppelte Produktionskapazität eingesetzt; es wurden Steuerungen neu entwickelt und patentiert. Die Module wurden in Deutschland gebaut und getestet. Die einfachen Bauteile wurden in China gesourct und in einer neu aufgebauten Produktion in China montiert. Eine Free Trade Zone ermöglichte die Zusammenführung der gesamten Anlagen, die beim Kunden erstmals zusammengebaut und in Betrieb genommen wurden.

                                 Veränderung durch Transformation
Am Ende des Projekts hatte sich für alle Beteiligte viel verändert: Entwicklungszeiten wurden halbiert. Die modulare Konstruktion ermöglichte deutliche Kosteneinsparungen in der Produktion. Die Produktion in China war bei guter Qualität etabliert. Als Technologieführer konnte man am Markt überzeugen – Anlagen konnten wieder wettbewerbsfähig verkauft werden.

Fazit: Wer noch immer meint, Zulieferer in China lieferten schlechte Qualität, sollte sich unbedingt Maschinenparks in China anschauen. Dort stehen dieselben Fertigungsmaschinen wie im deutschen Mittelstand. Das beschriebene Beispiel hat gezeigt: Die Qualität in China war top und das Tempo deutlich schneller als in Deutschland. Nacharbeit bei Dringlichkeit war kein Problem, auch am Wochenende nicht.


AUSBLICK + und DENKANSTÖßE

Schlüsselindustrien in China
Die großen deutschen Unternehmen sind längst auf dem riesigen chinesischen Markt tätig, sei es durch eigene Werke oder durch Export. Viele Mittelständler hingegen noch nicht. Sie unterschätzen nicht selten die Marktdynamik. Bereits 2015 hat die chinesische Regierung im 13. Fünfjahresplan die Schlüsselindustrien für China „Made in China 2025“ veröffentlicht. Im 14. Fünfjahresplan 2021 wurden diese präzisiert und um Strategien zu technologischen Innovationen in China, Urbanisierung in China, mehr grünem Wachstum und Entwicklung des dualen Kreislaufs in China erweitert. Es wurden Strategien für einzelne Branchen vom Rohstoff, der gesamten Lieferkette bis hin zum Endkundenmarkt veröffentlicht.

Sind Sie in einer Branche tätig, die China als Schlüsselindustrie definiert hat?
Die Schlüsselindustrien und deren Entwicklung entlang der Wertschöpfungskette sind definiert und öffentlich zugänglich. Viele Unternehmen in Baden-Württemberg sind in diesen von China definierten Schlüsselindustrien tätig. Es gilt darum, sich gemeinsam intensiv um Zukunft und Innovationen Gedanken zu machen. Jedes Unternehmen wird mit dieser Fragestellung konfrontiert, die Frage ist nur, zu welchem Zeitpunkt und wie intensiv.

Gründe für eine notwendige Transformation
Das Beispiel Solarindustrie zeigt, wie schnell eine innovative und noch junge Branche in Deutschland entwickelt und aufgebaut wurde und wie innerhalb von wenigen Jahren die gesamte Wertschöpfungskette als Schlüsselindustrie nach China abgewandert ist. Wenn der deutsche Mittelstand weiterhin erfolgreich in (Schlüssel-)Märkte nach China liefern will, dann steht er vor großen Herausforderungen. Das beschriebene Beispiel zeigt, dass Chancen entstehen, wenn man sich frühzeitig und konsequent strategisch neu ausrichtet.


Denkanstöße

.   Wer in einem Umfeld agiert, das China als Schlüsselindustrie definiert hat, muss sich auf die Umstellung der kompletten Wertschöpfungskette einstellen. Das ist nur eine Frage der Zeit.
.   Durch Veränderungen von Märkten, Umwelt und Politik ergeben sich laufend neue Herausforderungen in Sachen Transformation.
.   Es gilt, rechtzeitig Chancen in einem veränderten Marktumfeld zu evaluieren – und dann aber auch zeitnah zu entscheiden und zu handeln.
.   Herausforderung sind als Chancen zu begreifen. Motto: von den Besten lernen.
.   Für neues Denken und Handeln müssen allerdings erst die Voraussetzungen geschaffen werden; dazu gehört auch, Mitarbeitende während der Umstellungsprozesse immer wieder neu zu motivieren.
.   Technologie, Know-how, Digitalisierung: Zur Neuentwicklung von Produkten, Maschinen, Anlagen und Geschäftsprozessen müssen alle Potenziale erkannt und gehoben werden.
.   Auch mögliche neue Standorte gilt es zu analysieren.
.   Change Management ist die erfolgskritische Basis für Business-Transformation.


14. Fünfjahresplan der Volksrepublik China (2021-2025)
https://www.bundestag.de/resource/blob/815806/715fc6323a399f045ef33c19a0896899/WD-5-127-20-pdf-data.pdf


Zum Autor
Gunter Fauth (Unternehmer, Vorstand und Geschäftsführer) hat über 30 Jahre Führungserfahrung im Mittelstand, in DAX Konzernen sowie in der Unternehmensberatung. Schwerpunkte: Strategie, Business-Transformation, Turnaround, Organisationseffizienz, Supply- Chain-Optimierung, Nachhaltigkeit sowie Konzepten zur Unternehmenssteuerung zur nachhaltigen Ertragssteigerung von Unternehmen. Zudem hat er eine Vielzahl von Nachfolgeregelungen und strategische M&A Projekte umgesetzt.
Valegra GmbH, Urbach
https://valegra.de/de/