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Warum europäische Unternehmen eine neue Investitionsstrategie in China brauchen

Snb Law Jm Scheil

Fachartikel von Dr. Jörg-Michael Scheil
SNB Law, Managing Partner Asia
https://snb-law.de/  
CNBW-Mitglied


Notwendigkeit einer neuen Strategie - warum?

Gerade Mittelständler, die schon lange in China aktiv sind, sollten nach den Folgen des Lockdowns in Shanghai und weiteren Städten - gravierende Betriebsunterbrechungen, stillgelegte Fabriken, geschlossene Büros, nicht abgefertigte Waren - neu über die Ausrichtung ihres zukünftigen Engagements nachdenken. Durch das Festhalten an der Null-Covid-Strategie ist jederzeit mit der Verhängung weiterer Lockdowns auf lokaler Ebene zu rechnen. Ein- und Ausreisen sind seit über zwei Jahren unter vernünftigen Bedingungen unmöglich. Seit Pandemiebeginn können Techniker nicht einreisen, um gelieferte Anlagen in Betrieb zu nehmen oder zu warten. Verantwortliche aus der Zentrale haben lange Zeit ihre Mitarbeiter, Kollegen und Kunden nicht treffen können. 

Dual Circulation-Doktrin
Die chinesische Führung hat eine neue Dual Circulation-Doktrin ausgegeben. Diese ist darauf gerichtet, den chinesischen Inlandsmarkt vom Rest der Welt zu isolieren, indem alle Engpässe beseitigt werden, sei es in Bezug auf natürliche Ressourcen oder Technologie, um die Produktion vertikal zu integrieren und Eigenständigkeit auf dem chinesischen Inlandsmarkt zu erreichen. Gerade die Abhängigkeit von Hochtechnologie aus den USA, Japan und Deutschland soll dadurch abgebaut werden.

Risiko
Es besteht das Risiko, dass Sanktionen oder Gegensanktionen das Geschäft beeinträchtigen. Das neue deutsche Lieferkettengesetz, bestimmte Gesetzesvorhaben in den USA und letzte Enthüllungen wie die Xinjiang Police Files zwingen Investoren, sich viel genauer mit dem Risiko der Verletzung von Menschenrechten entlang der chinesischen Lieferkette zu befassen oder im Ernstfall einen Reputationsschaden in der westlichen Öffentlichkeit zu erleiden. Nachdem andere Länder vorangegangen sind, ihre Abhängigkeiten von China zu reduzieren, werden auch die EU und Deutschland über kurz oder lang staatliche Strategien und Initiativen auflegen, um die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu verringern. Dies wird sich auf das China-Geschäft deutscher Unternehmen auswirken.

Eckpunkte einer neuen Strategie- Empfehlungen

Die Lösung kann und wird nicht in einem kompletten Rückzug vom chinesischen Markt bestehen. Stattdessen wird eine Neuausrichtung erforderlich sein, die sich an den Eckpunkten Kapitaleinsatz, Technologie, Personal sowie Compliance und Reputation festmachen lässt, und die durch eine ausgewogene China-plus-eins Strategie ergänzt wird. 

a) Kapitaleinsatz
Langjährige China-Investoren sollten neue Projekte oder die erforderliche Expansion in China künftig primär aus inländischen Gewinnen und Rücklagen finanzieren, also im Wege der Reinvestition aus profitablen chinesischen Tochtergesellschaften anstatt der Neuinvestition mit Mitteln aus der Konzernzentrale. Dies folgt nicht nur aus dem erhöhten politischen Risiko, sondern auch aus Marktbeschränkungen in China, die tendenziell zu einer Verkleinerung des Marktanteils ausländischer Hersteller und damit zu sinkenden Erträgen führen werden. Maßnahmen der chinesischen Industriepolitik führen zu einer Verzerrung der Märkte und erzwungener Lokalisierung. Beispiele hierfür sind die Kaufprämien für Elektroautos, die nur für lokal hergestellte Fahrzeuge zur Verfügung stehen, wobei gleichzeitig ein Technologietransfer an chinesische Hersteller verlangt wurde, oder der Ausschluss ausländischer Batteriehersteller.

Durch organische Reinvestition in vorhandene oder angrenzende Standorte werden Verlustrisiken in der Anlaufphase vermieden oder reduziert. Die Kapazitäten sollten nach den Bedürfnissen des lokalen Marktes bestimmt werden. Einsatz lokaler Zulieferer und Verkauf der Endprodukte in den lokalen Markt können die chinesischen Niederlassungen dann zunehmend autark machen und  Interferenzen mit den globalen Lieferketten verhindern. 

Für neue Produktionslinien, die im Wege der Greenfield-Investition und mit zusätzlichen Mitteln aufgebaut werden, sollten Investoren andere Standorte in der Region verstärkt in Erwägung ziehen, wie vor allem Vietnam oder andere ASEAN-Länder, da die unter Ziff. 1 beschriebenen Risiken dort nicht im gleichen Maße bestehen. Vietnam eignet sich auch perspektivisch besser für alle exportorientierten Produktionsbetriebe, da das Land anders als China ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen hat und auch allgemein viel weniger von ausländischen Handelsbeschränkungen betroffen ist. 

b) Technologie- und Patentstrategie
Europäische Investoren sollten in China durchaus Forschungs- und 
Entwicklungsarbeit für den lokalen Markt betreiben, die Möglichkeiten der Internationalisierung der Entwicklungsergebnisse aber sehr vorsichtig einschätzen. Außerdem sollten sie vom weiteren Transfer von Schlüsseltechnologie nach China absehen. Die Verlagerung von R & D nach China wird von der chinesischen Regierung seit vielen Jahren sehr gefördert, und viele europäische Unternehmen sind dem Trend willig gefolgt. Inzwischen gelangen einige Entwicklungen aus den chinesischen Niederlassungen zur Patentreife. Gut informierte Patentabteilungen wissen aber auch, dass es gar nicht so einfach ist, in China getätigte Erfindungen für den Konzern zu verwerten. Das chinesische Recht baut hier verschiedene Hindernisse auf, etwa die Vorschriften zum Technologieexport und die Einschränkungen bei der ausländischen Erstanmeldung von Schutzrechten. 

Einige Unternehmen haben auch die Auftragsentwicklung bei chinesischen Partnern oder die Entwicklungskooperation mit chinesischen Unternehmen und Hochschulen ausgeweitet. Prüft man entsprechende Verträge, stellt man fest, dass die Zuordnung der IP-Rechte, die aus der Zusammenarbeit entstehen, oft alles andere als klar ist. Mangels klarer anderweitiger Regelung entstehen leicht gemeinschaftliche Rechte, über deren Verwertung man dann nicht allein entscheiden kann. Die Auseinandersetzungen über die Inhaberschaft werden dabei in vielen Fällen erst viele Jahre später stattfinden. Zudem ist im Kontext enger Verflechtung chinesischer Unternehmen, Hochschulen und Behörden nicht zu kontrollieren, in welche Richtung Forschungsergebnisse abfließen. 

Das chinesische Cybersecurity-Gesetz und zahlreiche Vorschriften des Datenschutzes führen außerdem dazu, dass der Austausch und Transfer von Daten mit ausländischen Unternehmen in der Gruppe erschwert wird.

Ehrgeizige chinesische Entwicklungsstrategien wie Made in China 2025 und die Schwierigkeiten, bei Verletzungen eigener Rechte vor den chinesischen Gerichten durchzudringen, sollten zu einer nüchternen Einschätzung des technologischen Konkurrenzrisikos führen. Aus Vorsichtsgründen sollte über das Maß der lokal notwendigen Technologie hinaus keine weitere Technologie nach China transferiert werden, weder an externe Partner und Kunden, noch in eigene Joint Venture hinein. 

Angesichts jüngster Berichte über die Gefahren von Forschungskooperationen mit chinesischen Wissenschaftlern und Hochschulen und der chinesischen Verwässerung der Grenze zwischen ziviler und militärischer Technologie ("Military Civil Fusion") würde es nicht überraschen, wenn die deutsche Regierung bald ihrerseits eine stringentere Technologieexportkontrolle gegenüber China einführte. Von dem chinesischen Ansatz, alle Technologien im Rechtsverkehr in freie, beschränkte und verbotene Technologie einzuteilen, könnten andere durchaus lernen. 

c) Personal
Der Aufbau neuer Werke durch Expatriates, die aus der Zentrale entsandt werden, so wie seit den 90er Jahren bekannt, dürfte zukünftig eher ein Ausnahmefall sein. Dies gilt gerade dann, wenn man der oben beschriebenen Leitlinie zum Kapitaleinsatz folgt und sich stärker auf den lokalen Markt konzentriert. Es kommt hinzu, dass derzeit etliche ausländische Manager China den Rücken kehren und es schwerer wird, neue Kräfte für den Einsatz in China zu motivieren. Dies alles führt unausweichlich zu einer noch weiteren Lokalisierung des Managements.

Dabei muss eine vollständige Abkoppelung der chinesischen Töchter verhindert werden. Günstig ist es in dieser Phase, wenn ein Unternehmen über langjährige Mitarbeiter im chinesischen Management verfügt, die in Deutschland studiert haben, die Verhältnisse in der Zentrale kennen und sich mit den Unternehmenszielen identifizieren. Sofern diese Mitarbeiter einen chinesischen Pass und eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis in Deutschland haben, sind Sie auch diejenigen, die in den nächsten Jahren noch am ehesten hin- und herreisen können. Sehr hilfreich ist es ergänzend, wenn das Unternehmen in der Zentrale erfahrene Führungskräfte hat, die China aus eigenem, früheren Einsatz gut kennen, denn diese können das Bindeglied zum lokalen Management sein, und sie sind in der Lage, Berichte aus China auch unabhängig und kritisch zu bewerten.

d) Compliance und Reputation
Wirtschaftsethisch vertretbares Verhalten in China wird langfristig für Unternehmen zu einem internationalen Wettbewerbsvorteil werden. Dies gilt nicht nur für Unternehmen aus der Modebranche, die sich der möglichen negativen Publicity bewusst sein sollten, die z.B. aus der Verwendung von Baumwolle aus Xinjiang resultieren kann. Auch Hersteller von Industrieprodukten sollten ihre Geschäftspartner, Lieferanten und Kunden noch kritischer prüfen.

Von Geschäftsbeziehungen mit Unternehmen oder Instituten, die auf Sanktionslisten stehen, mit dem Militär verbunden sind oder auch für militärische Zwecke forschen, sollte man Abstand nehmen. Unternehmen entlang der gesamten Lieferkette in China müssen auch daraufhin überprüft werden, ob bei ihnen menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken im Sinne des Lieferkettengesetzes begründet werden. 


Dr. Jörg-Michael Scheil
SNB Law, Managing Partner Asia
Mail: jm.scheil@snblaw.com
https://snb-law.de/