Alle News

  • Start
  • Alle News
  • Christine Althauser: Diplomatie hat nichts mit Duckmäusertum zu tun

Christine Althauser: Diplomatie hat nichts mit Duckmäusertum zu tun

Dr. Christine D. Althauser Beirat Beschnitten


Dr. Christine D. Althauser
Generalkonsulin,
Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland Shanghai (bis Ende Juni 2021);
CNBW-Beirätin


Warum engagieren Sie sich im CNBW – was macht das CNBW so besonders?

C. Althauser: "Mein Interesse an und meine Beschäftigung mit China reicht bereits einige Jahrzehnte zurück. Und sie begann hier in Baden-Württemberg in meiner Heimatstadt Lahr - übrigens auch Partner im CNBW. Für mich schließt sich der Kreis nicht, aber die Teilnahme ist eine Art logische Fortsetzung, dass ich mich - nun zurück in Deutschland - im CNBW einbringen kann. Mich freut diese Möglichkeit sehr!

 ... "Gäbe es das CNBW nicht, müsste man es sofort erfinden" ...

Abgesehen von diesen eher biographischen Tupfern: Zusammenführen von Expertise, das Bereitstellen einer Plattform zum Informationsaustausch oder als Handreichung für Entscheidungsfindungen - das ist das Gebot der Stunde. China ist hochinteressant, auch hochkomplex, mitunter schwer zu verstehen und schwer "zu lesen". Gäbe es das CNBW nicht, müsste man es sofort erfinden. In einem Bundesland wie Baden-Württemberg, mit so viel Know-how, Exportkapazität und allgemein großem Interesse an Austausch, kommt dem CNBW als einem Knotenpunkt eine eminent wichtige Funktion zu."


Ende Juni ging Ihre Zeit als Generalkonsulin in Shanghai nach vier Jahren zu Ende. Was werden Sie am meisten vermissen? Und welche Projekte liegen nun vor Ihnen?

C. Althauser: "Ja, nach fast vier Jahren in Shanghai hieß es für mich 'time is up'. Und Abschiede sind nie leicht, man lässt ein Teil seines eigenen Lebens und tolle Begegnungen hinter sich, auch bereichernde Erfahrungen. Es geht bei jedem Posten vor allem um Menschen, die man zurücklässt. Und Corona macht das Zurückkommen, auch nach China, extrem schwierig. Aber die Regularien des Auswärtigen Dienstes sind so. Wechsel und Rotation im Auswärtigen Amt halte ich im Grundsatz für gut, auch wenn es natürlich ab und an etwas 'mehr' sein könnte.

... "Was kann und was macht Diplomatie?" ...

Das Thema China wird mich auch weiterhin beschäftigen und natürlich interessieren, nun eben aus badischer, genauer aus Freiburger Perspektive. Ich werde mich weiterhin mit meinen 'alten' Themen befassen, die ich schon während meiner Studienzeit in Heidelberg für mich identifizierte: China, Russland und Osteuropa, immer wieder - und vielleicht stärker denn je - Fragen der Europäischen Union; dazu auch übergreifende Themen, die ich als Handwerk und Instrumentarium begreife, etwa: Was kann und was macht Diplomatie? Wie können wir zum Erhalt von Frieden und Wohlstand beitragen? Viele spannende Fragestellungen."


Sie haben zwischenzeitlich auch das Referat VN02 im Auswärtigen Amt geleitet - hier geht es um Krisenprävention. Haben Ihnen die Erfahrungen später auf Ihrem Posten in Shanghai geholfen?

C. Althauser: "Ich habe in dieser Zeit unglaublich viel gelernt. Für mich ist einer der positivsten Aspekte bei einer Laufbahn im Auswärtigen Amt, dass man immer wieder neue Stellschrauben und Perspektiven kennenlernt. Natürlich muss man offen und neugierig bleiben und bereit sein, immer wieder Neues zu lernen. So unterschiedlich die Themenbereiche auch sind - Grundlinie ist immer Offenheit, Fähigkeit zum Austausch und Ausloten von Kompromissen. Kompromiss ist ein zentraler Terminus in unserem westlichen Wertesystem. Im chinesischen und russischen Kontext ist er eher negativ besetzt; er steht dort für Schwäche, Weichheit, und das ist eine Sicht, der ich nicht folge.

 ... "erweiterten China-Begriff immer mitdenken" ...

Faszinierend fand ich den Begriff der "erweiterten Sicherheit", der eben ein ganzes Arsenal von Versatzstücken mitdenkt, dazu gehören Verhandeln, Mediation, auch militärische Stärke. Ein veritabler Werkzeugkasten, neudeutsch 'Tool Box'. Auch vis-à-vis China sollten wir uns breiter und damit besser gerüstet aufstellen, Stichwort: China-Kompetenz. Wir brauchen auch einen erweiterten China-Begriff, sollten Geschichte, Kultur, Größe und Diversität und vieles mehr bei unserem Umgang mit dem Riesenland China, sowieso eher ein Kontinent als ein Land, immer mitdenken."


Als Diplomatin wissen Sie genau, wann und wie Sie deutliche "Akzente" setzen können. Das passiert oft zwischen den Zeilen. Was müssen deutsche Unternehmer und Einkäufer unbedingt lernen, wenn sie in China auch langfristig erfolgreich sein wollen?

C. Althauser: "Wie gesagt: kein einfaches Land, vielschichtig, auch mit hohem Potenzial. Chinesische Verhandlungspartner nutzen oft gekonnt das angeblich Geheimnisvolle, Mysteriöse ihres Landes. Oft ist das auch Spiel. Grenzen werden verschoben, allzu oft lächelt der Auswärtige - und schweigt. Verkehrt, wie ich meine. Ich halte chinesische Verhandlungspartner für durchaus robust, wenn es um Gegenargumente geht. Man sollte sich trauen, seine Argumente und Sichtweise vorzubringen. Vieles bleibt dann nebeneinander stehen, wurde aber ausgesprochen und ist damit gesagt. Diplomatie ist ein weites Feld und hat, auch wenn die Umgangssprache dieses nahelegt, nichts mit Duckmäusertum zu tun. Es ist ein Eskalationsmechanismus, der gekonnt eingesetzt werden will. Chinesische Verhandler sind Meister in diesem Metier; man sollte die Herausforderung annehmen.

... "beeindruckendes Interesse an Vernetzung und Austausch" ...


Und was deutsche Unternehmer und Einkäufer anbelangt: Sie machen das, so meine Erfahrungen in Shanghai, ausgesprochen gut. Was mich gerade in der Corona-Phase beeindruckt hat, ist ihr Interesse an Vernetzung, Austausch und den vielen Fragen zum Umgang mit China. Als Generalkonsulin habe ich eine meiner allerersten Aufgaben darin gesehen, hierfür ein Podium zu bieten und  Kontaktstelle für diesen Austausch zu sein."


Müssen wir lernen, unseren eigenen Wertebegriff auszublenden, wenn wir uns mit Chinesen in Verhandlungen in Politik und Business begeben ?

C. Althauser: "Mitnichten. Nur ein starkes Rückgrat evoziert Respekt. Wir kommen aus unterschiedlichen Wertesystemen. Das unsrige ist unser Koordinatensystem, die Grundlage unseres Agierens. Natürlich haben wir alle unterschiedliche Interessen, die sind schon zwischen einem Großkonzern wie VW und dem berühmten Mittelständler aus Taicang hinsichtlich Reichweite und Durchschlagskraft sehr unterschiedlich. Aber gerade deswegen kommt es auf bessere Vernetzung an, wie es das CNBW vormacht. Dies betrifft die deutsche Community, den europäischen Verbund und die transatlantische Partnerschaft. Wir haben viel zu bieten, als Deutsche und Europäer, und wir sollten den dazugehörenden Wertekanon auch verteidigen. Alles andere wäre unglaubwürdig." 


In unserer demnächst veröffentlichten Umfrage zum China-Business sagen über 60% der Befragten aus Baden-Württemberg, dass sie das China-Bild in den deutschen Medien für zu kritisch halten. Wie ist Ihre Meinung hierzu?

C. Althauser: "Die Zahl ausländischer Journalisten in China nimmt kontinuierlich ab. Das gilt auch für deutsche bzw. deutschsprachige Medienvertreter, und dieser - wie ich meine, ungute - Trend dürfte sich fortsetzen. Corona-Spätfolgen spielen hierbei eine Rolle. Man sollte miteinander, nicht übereinander und nicht aus dritter Hand kommunizieren. Bilder und Stereotypen verfestigen sich so. Ich habe aus Journalistenkreisen immer wieder gehört, dass es viel, viel mehr Journalisten bräuchte, um das riesige Land und die Vielschichtigkeit der Entwicklung abzubilden. So ist die Berichterstattung oft auf Konfliktpunkte fixiert. Das kann man aber nicht den Journalisten anlasten.

... "Wir haben mit dem riesigen Land aus Eigeninteresse umzugehen" ...

Für mich spannt sich hier der Bogen zur erwähnten China-Kompetenz. Die ist notwendiger denn je und sollte auf allen Ebenen ausgebaut werden. Denn am Ende des Tages geht es um die Frage, wie unser Umgang mit China ist: Umgehen - Betonung auf zweiter Wortsilbe - können wir es nicht, wir haben mit dem riesigen Land aus Eigeninteresse umzugehen - Betonung auf erster Wortsilbe. Dass China ein Land mit einem im Vergleich zu uns fundamental anderen Gesellschafts- und Politikverständnis ist, steht außer Frage. Dies darzustellen und für den Leser und Hörer zu übersetzen und einzuordnen, ist auch genuine Aufgabe von gutem Journalismus."


Die Fragen stellte Sabine Ursel