Jochen Schultz im Porträt: Von Weiterbildung, Vernetzung, De-Risking und Jiaozi
Porträt von CNBW-Geschäftsführer Jochen Schultz in (14.8.2024) in Rubrik "Heads":
Von Fabian Peltsch
Jochen Schultz war vor rund 18 Jahren das erste Mal als Tourist in China. Dass das Land eines Tages eine so große Rolle in seinem Leben spielen würde, ahnte er da noch nicht, obwohl die hochmodernen Städte, die Menschen und natürlich auch das Essen schon damals einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen haben. Dass der in Leonberg geborene Schwabe dann 2011 sogar nach China übersiedelte, war sogar einem Zufall geschuldet. Seine Lebensgefährtin bekam damals eine Stelle bei einem großen Münchner Konzern in Nanjing angeboten. Schultz befand sich gerade in einer Neuorientierungsphase. Er fackelte jedoch nicht lange mit der Entscheidung und ging mit.
In Deutschland war er zuvor in der beruflichen Weiterbildung tätig gewesen. In China kam er dann in Kontakt mit der Personal- und Organisationsentwicklungsberatung MTI Machwürth Team International, die Professional Trainings für Unternehmen anbietet. "Sie haben Unterstützung im Business Development gesucht. Und diese Stelle habe ich mir dann geschnappt." Bis 2014 pendelte er zwischen den Büros in Nanjing, Shanghai und Peking. Und er erweiterte nebenbei seine Aufgabengebiete kontinuierlich. Denn in Zeiten, in denen der Begriff des Hidden Champions noch nicht geläufig war, suchten immer mehr Kunden aus dem deutschen Mittelstand Unterstützung bei der Entwicklung ihres Personals und der Organisation, um ihre Chancen in China auszuloten.
"Was in Deutschland funktioniert, muss nicht auch in China funktionieren"
"Im deutschen Mittelstand standen meist Sales-Trainings, Leadership, interkulturelle Kommunikation und Unternehmenskultur im Fokus", erklärt Schultz. "Dass man sich als Unternehmen eine gewisse Identität verschafft und als lokale Einheit präsentiert, wurde dann zunehmend wichtig: Für was stehen wir eigentlich? Wer wollen wir sein? Es galt für uns, Wege aufzuzeigen, die sich nicht zwingend von der deutschen Unternehmenskultur ableiten."
Die Erkenntnis, dass nicht alles, was in Deutschland funktioniert, auch in China funktioniert, sei für viele ein Spagat gewesen, erinnert sich Schultz. Die Zusammenarbeit mit chinesischen Kunden empfand er dagegen – "nach einer anfänglichen Reserviertheit" – oft als sehr fruchtbar. Viele Chinesen seien oftmals engagierter bei der Sache gewesen als Deutsche. Zurück in München machte sich Schultz mit Design und Organisation von Weiterbildungsangeboten selbstständig und absolvierte eine professionelle Coach- und Trainer-Ausbildung. Doch eine neue Idee reifte bereits in seinem Kopf: Er wollte deutsche und chinesische Unternehmen stärker miteinander vernetzen. Schultz wurde zunächst Mitglied im China-Forum Bayern, das für seine eigenen Pläne zur Inspiration werden sollte.
Dann ging es nach Freiburg zum China-Forum, wo er unter anderem Veranstaltungen konzipierte. Es stellte sich auch hier heraus, dass großer Bedarf an Informationen und einem größeren Austausch mit China bestand. Von den rund 1500 deutschen Hidden Champions sind viele in Baden-Württemberg ansässig. Wie sie in China agieren, hat großen Einfluss auf die hiesige Wirtschaft und den Arbeitsmarkt. "Je mehr Gespräche wir geführt haben, desto klarer hat sich herauskristallisiert, dass auch in Baden-Württemberg eine zentrale Plattform für Austausch, Kommunikation, Information, Direktkontakt und Herstellung Sinn macht."
Enger Austausch mit der Landesregierung
Mitte 2020 – zu Corona-Zeiten – wurde dann das China Netzwerk Baden-Württemberg (CNBW) aus der Taufe gehoben. Jochen Schultz war Mitgründer. Seitdem ist er auch Geschäftsführer. Die Arbeitsabläufe werden dezentral und im Wesentlichen virtuell gemanagt. Der gemeinnützige Verein ist noch immer im Aufbau. Das unabhängige CNBW bekommt keine Förderung vom Land oder von Investoren und wird primär über Mitgliedsbeiträge finanziert. Dennoch hat sich das Netzwerk längst als wichtige, neutrale Anlaufstelle etabliert.
Die Angebote des CNBW richten sich an deutsche Firmen, die in oder mit China arbeiten wollen, und an chinesische Firmen, die in Deutschland bereits aktiv sind oder Unternehmungen angehen wollen. Schultz und sein Team entwickeln Experten-Talks, Seminare, Workshops und Vorträge zu aktuellen erfolgskritischen Themen. Die Bandbreite reicht von Rechts- und Compliance-Aspekten über Kommunikationsfragen und De-Risking-Diskussionen bis hin zu Anwendungen in Sachen Künstlicher Intelligenz und E-Mobilität. "Den größten Bedarf sehen wir allerdings gerade im Bereich Wirtschaftspolitik. Wir weisen unermüdlich darauf hin, dass in Unternehmen und auch Institutionen oftmals keine ausreichende China-Kompetenz besteht. Auch darüber tauschen wir uns mit Landesministerien und -behörden aus. Zudem stehen wir in engem regelmäßigen Austausch mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg und dem chinesischen Generalkonsulat in Frankfurt."
"Deutsche Unternehmen wollen vertrauenswürdige Partner"
Das komplexe Thema China sei zwar derzeit in der Öffentlichkeit von Misstrauen geprägt. "Wir hören aber auch, dass kritische Äußerungen der Landesregierung nicht unbedingt auf Wohlwollen der Vertreter der baden-württembergischen Wirtschaft stoßen", drückt es Schultz diplomatisch aus. "Zum De-Risking gehört, möglichst alle Risiken und Chancen auszuloten. "Deutsche Unternehmen wollen vertrauenswürdige Partner, und die gibt es in China ja weiterhin, was auch unsere Umfragen zeigen", sagt Schultz. Auf der anderen Seite gebe es auch weiterhin chinesische Unternehmen, die schon in Baden-Württemberg vertreten sind und auch gerne weiterhin nach Baden-Württemberg kommen wollen. "Auch die brauchen unser offenes Ohr und unser Verständnis."
Schultz war länger nicht mehr in China. Ein Augenleiden machte es ihm in den vergangenen anderthalb Jahren unmöglich, ein Flugzeug zu besteigen. Nun befindet er sich auf dem Weg der Besserung. Er vermisst die Menschen, die Möglichkeiten und "natürlich auch das Essen". Vor allem Jiaozi – Teigtaschen, die einen Schwaben an Maultaschen erinnern – würde er gerne mal wieder vor Ort genießen. "Auch sie sind ein Beweis für die vielen Gemeinsamkeiten, die man schätzen und lieben lernt, wenn man Türen und Geist offen hält."
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